Kennst du solche Situationen? Du kommst in das Kinderzimmer deines Kindes und siehst, wie es ausgelassen den Körper eines anderen Kindes untersucht. Die Beiden spielen Arzt und betrachten und berühren sich ausgelassen. Oder hast du schon einmal erlebt, dass dein Kind sich ausgiebig im Intimbereich anfasst und es wie in einer anderen Welt wirkt? DU hast dir hier die Frage gestellt: „Ist das normal?“
Vorweg schon einmal – Ja, es ist normal. Wir Erwachsenen tendieren dazu, über solche kindlichen Spiele erst einmal erschrocken zu sein. Es trifft jeden ganz persönlich, denn wir haben alle in der eigenen Familie Erfahrungen gemacht. Und je nachdem welche Familienkultur ich selbst erlebt habe, habe ich ein Bild von kindlicher Sexualität in meiner Biografie gespeichert.
Doch was steckt dahinter?
Der Alltag zeigt uns, dass Kinder es lieben zu kuscheln, sich zu berühren und Zärtlichkeiten auszutauschen.
Wenn Kinder ihren Körper erforschen und sich gegenseitig betrachten, dann ist es wichtig, dies von der Erwachsenensexualität unterschieden. Kinder erleben sich mit allen Sinnen – sie fassen sich an, reiben an Gegenständen, riechen, schmecken, sind im Kontakt mit Anderen, suchen ihre Rolle in der Familie oder der Gruppe. Solche Spiele entstehen spontan, aus dem Tun heraus und sind meist auch sehr unbefangen. Wenn Kinder Körpererkundungsspiele tun, dann ist es für sie immer ein ganzheitliches „Spiel“. Es ist nicht DIE Sexualität.
Je nach Alter der Kinder sieht diese Körperlust sehr unterschiedlich aus.
Krippenalter (0-3 Jahre):
Bei Kleinstkindern geht es in der Sexualentwicklung noch stark um das Erleben mit allen Sinnen. Das Berühren, Fühlen, Schmecken und Riechen steht im Mittelpunkt. Stell dir dein weinendes Baby vor. Es beruhigt sich am besten durch den Körperkontakt - es fühlt deinen Herzschlag, riecht den typischen Mama-Papa-Geruch, schmeckt die Haut. Dieser enge Kontakt löst Oxytocin im Gehirn des Kindes aus – ein Super-Hormon das zur Entspannung führt.
Umso selbstständiger Kleinkinder werden, umso mehr wollen sie ihre eigene Umwelt und sich in dieser Umwelt erkunden. Dazu gehört auch, dass sie anfangen ihren Körper anzufassen und somit auch ihre Geschlechtsteile. Und sie erkennen, dass diese Berührungen angenehme Gefühle machen können. Sie finden es schön, sich zu streicheln, an sich zu reiben und sich zu fühlen.
Gleichzeitig wollen Kleinkinder auch ihr gegenüber kennenlernen, sich zeigen und auch andere Körper betrachten. Hast du schon einmal gesehen, wie dein Kind sich im Spiegel intensiv anschaut? Oder den eigenen Bauchnabel sucht? Der Weg der Sauberkeitsentwicklung steht ebenfalls auf dem Plan – Kinder untersuchen genau, was wo produziert wird, wo etwas herauskommt und wie sich dieser Prozess bewusst steuern lässt. Das Trocken werden ist also ein wichtiger Teil der Sexualentwicklung.
Kita-Kinder (3-6 Jahre):
Kita-Kindern geht es mehr um den Wissensdrang. Sie möchten möglichst allen Dingen auf den Grund gehen. Es wird mit dem eigenen und dem Körper des anderen geforscht. Die Freundschaften werden ebenfalls ausgetestet. „Du bist der Arzt und du würdest mich jetzt untersuchen – ok?“ Hier ist Vorsicht geboten, denn so schön es ist, wenn Kinder sich gegenseitig erkunden – umso mehr muss geschaut werden, dass Kinder gut miteinander umgehen. Schnell einmal hört man „Dann bist du nicht mehr mein Freund!“ Das sitzt bei Kindern tief und sie machen dann doch bei Erkundungen mit, die sie eigentlich nicht möchten.
Spannend werden nun auch gemeinsame Toilettenbesuche, weil sich Kinder gegenseitig zuschauen möchten und dies spannend finden. Andere Kinder nehmen einen Freund mit auf die Toilette, der aufpassen soll, dass kein anderes Kind in die Kabine kommt. Die Schamentwicklung bildet sich nun so aus, dass Kinder diesen intimen Moment auch ganz alleine bewältigen wollen.
Bei Kita-Kindern wird die eigenen Identität immer wichtiger – sie stellen sich die Frage „Wer bin ich eigentlich? Ist mein Freund genauso? Was wird von mir als Mädchen / Junge erwartet?“. Sie machen sich ein Bild von der eigenen Rolle, suchen nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Körper und Verhalten, diskutieren über stereotypische Merkmale und Familienkonstellationen. Auch die Frage nach dem eigenen Entstehungsprozess wird immer präsenter. Kita-Kinder wollen z.B. wissen, wie sie in den Bauch gekommen sind, was sie dort gegessen haben, wie sie aus dem Bauch wieder herausgekommen sind und wieso sie Muttermilch erhalten haben…
Was kannst du als Mama oder Papa nun tun?
Um Kinder stark zu machen und die gesunde kindliche Sexualität zu unterstützen, müssen sich Kinder austesten und ausleben dürfen. Du darfst also Körpererkundung zulassen, damit dein Kind lernt was guttut und was nicht angenehm ist. Nischen und Ecke werden für diese Spiele gerne genutzt und das ist gut so. Dabei müssen wir Kinder aber auch schützen. Das heißt du darfst genau hinschauen und hinhören, ob alle Kinder freiwillig am Körpererkundungsspiel mitmachen.
Kinder wollen sich ernst genommen fühlen. Daher achte auf die Signale deines Kindes z.B. wenn es Scham zeigt. Es ist total OK, wenn dein Kind alleine auf Toilette möchte und seine Privatsphäre will. Nur wenn wir auf die Signale angemessen eingehen, machen wir sie selbstbewusst für das spätere Leben. Kinder, die gelernt haben, dass ihre Person ernst genommen wurde, suchen sich im Notfall schneller Hilfe – daher: ermutige dein Kind dazu, das Wahren der eigenen Körpergrenzen einzufordern – „Dein Körper gehört dir“
Benutze die richtigen Bezeichnungen für Geschlechtsorgane. Nur wenn Kinder die richtigen Begriffe kennen, können sie diese benennen und im Notfall Hilfe holen. Ein Kind das sagt, dass es am Penis angefasst wurde, löst andere Reaktionen aus, als ein Kind das beispielsweise vom „Zipfelchen“ spricht. Dein Kind liebt Berührungen, denn sie sind „Balsam für die Seele“. Durch Streichel- und Massageeinheiten lernen Kinder sich im Alltag zu entspannen. Nicht nur bei den Kleinsten– auch ältere Kinder genießen diesen intensiven Körperkontakt. Dazu gehören auch sinnliche Erfahrungen, diese sind super wichtig. Dein Kind lernt dabei, was angenehm und was unangenehm ist.
Was gibt es schöneres, als mit Rasierschaum, Wasserperlen und Co. zu experimentieren? Bei Regenwetter durch die Pfützen zu springen, im Sandkasten mit Matsch zu spielen und sich mit Fingerfarbe wahrzunehmen? Solche sinnlichen Erfahrungen tragen maßgeblich zur Wertschätzung des eigenen Körpers- und somit des eigenen ICHs bei.
Wir vergessen viel zu oft, dass der Körper etwas Wunderbares ist, der erkundet und wertgeschätzt werden muss. Daher darfst du deinem Kind viele Möglichkeiten geben, sich zu erkunden. Aber achte auch auf einen sicheren Rahmen – d.h. dein Kind darf und muss nur das tun, was es selbst möchte und was für den Anderen auch angenehm ist.
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